Bessarabien
Die Geschichte der Deutschen in Bessarabien, zusammengefasst von Ella Fano, erschienen am 8.9.1990 unter der Überschrift „Fünfzig Jahre nach der Umsiedlung“ in Der Teckbote Nr. 208
Das Bessarabiendeutschtum hat während einer verhältnismäßig kurzen Zeit von 126 Jahren inmitten fremder Völker ein Eigenleben geführt, von dem nur wenige Außenstehende wussten oder heute wissen.
Die bessarabiendeutsche Volksgruppe hat eine eigenständige Geschichte, die wir - in die der Schwarzmeerdeutschen eingebettet - zum Teil wieder finden. Der heutige Tag der Heimat gibt Anlass zur Rückblende. Im Osten Europas, wo das Bild der schönen Landschaft entlang der Donau in eine weite Ebene übergeht, liegt Bessarabien. Soweit das Auge reicht war nur Himmel und Erde zu sehen, die sich fern am Horizont zu berühren schienen. Es gab keine Wälder und keine Berge. Nur eine sanfte, wellenförmige Hügelkette als letzter Ausläufer der Karpaten durchzog das Land und verlor sich in der weiten Ebene bis an das Schwarze Meer. Das Klima war trotz der Nähe des Meeres ein rein kontinentales. Im Winter herrschte eine eisige Kälte, die Stürme heulten über das flache Land, im Sommer eine glühende Hitze. Besonders schwer war in den langen Sommermonaten die infolge der Regenlosigkeit häufig auftretende Dürre zu ertragen, wenn die Sonne unbarmherzig brannte und der heiße Wind die Staubwolken trieb. Die wenigen kleinen Flüsse und Bäche trockneten fast ganz aus; alles, was da lebte, lechzte nach Regen.
Der Name des Fürsten
Bessarabien hat eine wechselvolle Geschichte erlebt. In grauer Vorzeit haben Nomadenvölker in der Steppe gehaust, vorübergehend bauten die Goten hier ein Reich auf, das aber dem Ansturm der Völkerwanderung im Jahre 375 erlag und von den Hunnen gänzlich zerstört wurde. Dann blieb das Steppenland jahrhundertelang sich selbst überlassen und sah viele fremde Stämme kommen und gehen auf ihrem großen Zug von Asien nach Europa. Zuletzt waren es die Türken und Rumänen, die sich um den Besitz des Landes stritten, bis auch die Russen ihren Anspruch darauf erhoben. Jahrzehnte dauerten die Kämpfe zwischen den Türken und den Russen um das Land, bis endlich der Kampf zugunsten Russlands entschieden wurde und Bessarabien, das seinen Namen einem Fürsten Bassarab verdankt, im Frieden von Bukarest im Jahre 1812 an Russland kam.
Die Geschichte der Deutschen aus Bessarabien beginnt mit der Auswanderung unserer Vorfahren aus Deutschland. Der russische Zar Alexander I. (Regierungszeit 1801-1825) wollte nach der Eingliederung Bessarabiens in das Zarenreich 1812 den von den Türken zwischen unterem Dnjestr, dem Schwarzen Meer und dem Pruth verlassenen Landstrich neu besiedeln und die großen, brachliegenden Ländereien landwirtschaftlich erschließen.
Kriegslasten drückten
Kaum war Napoleon besiegt, ging Zar Alexander I. an die Kolonisierung Bessarabiens. Neben Bulgaren schienen dem Zaren die Deutschen am geeignetsten für eine Besiedlung zu sein. Sie sollten, durch ihren Fleiß bekannt, für alle Völker in diesem Raum ein Vorbild sein. Er erließ 1813 einen Aufruf an die Deutschen im Herzogtum Warschau zu einer freiwilligen Auswanderung nach Russland. In einem Manifest räumte der Zar den Einwanderern verschiedene Privilegien ein. Die Deutschen, die schon seit der ersten Teilung Polens dort siedelten, trieb die Willkürherrschaft der polnischen Gutsherren wieder fort, ebenso die Katholisierungsbestrebungen der polnischen katholischen Kirche.
Und wie sah es damals in den deutschen Landen aus? Die Städte hatten unter der Besatzung und Plünderung von Napoleons Truppen viel zu leiden, die Bauern mussten Fronarbeiten verrichten, dazu drückten die hohen Kriegslasten. In dieser Notzeit, die durch die Zerrissenheit des deutschen Volkes in einzelne kleine Staaten noch verschärft wurde, gab es in manchen Teilen des Landes erweckte Christen. Sie glaubten an den Zeichen der Zeit das Nahen des Endes der Welt zu erkennen und suchten nach einem Bergungsort, wo sie das Kommen des Herrn erwarten wollten. Ihre religiöse pietistische Einstellung trug ihnen manchen Druck von der damals stark rationalistischen Kirche ein, und darum wurde der Drang in die Ferne und das Verlangen nach einem Leben in Glaubensfreiheit immer größer.
„Stern des Ostens“
In dieser schweren Zeit erreichte der Ruf Zar Alexanders I. auch die Bevölkerung Süddeutschlands. Es wurden günstige Bedingungen angeboten: Materielle Unterstützung, 60 Desjatinen = 65,5 Hektar Land je Familie, Steuerfreiheit auf zehn Jahre, Befreiung vom Militärdienst, Religionsfreiheit und Selbstverwaltung. Das klang sehr verlockend in die trostlose Lage der Deutschen hinein. Besonders die um ihres Glaubens willen Bedrängten entschlossen sich gleich, den russischen Werbern in das Reich des Zaren zu folgen, den sie durch sein Versprechen der Glaubensfreiheit den „Stern des Ostens“ nannten. In einzelnen Auswanderergruppen zogen in den Jahren 1817 bis 1842 etwa neuntausend deutsche Bauern aus der Pfalz, aus Bayern, aus der Schweiz und vor allem aus Württemberg nach Bessarabien. Die Württemberger schlossen sich zu so genannten Auswanderer-Harmonien zusammen.
Vom Oberamt Kirchheim stellten sich als Führer einer Harmonie zwei Ötlinger Bürger - Johann Georg Bidlingmaier und Jakob Lutz - zur Verfügung. Sie schlossen sich der Schar der Auswanderungswilligen an und fuhren auf kleinen Schiffen von Ulm donauabwärts. Es war eine traurige Fahrt. Bei schlechter Verpflegung wurden in den „Ulmer Schachteln“ viele krank und schon unterwegs vom Fieber hinweggerafft. Elend kamen sie in Ismail, der ersten russischen Stadt an, wo sie in Quarantäne kamen. Hier verlor der Ötlinger Bidlingmaier zwei seiner Kinder. Einen Monat später folgte auch er ihnen im Tod nach. Andere Gruppen gelangten nach einer unsäglich beschwerlichen, oft monatelangen Reise auf dem Landweg über Polen an ihren Bestimmungsort. Auch bei diesen Gruppen waren unterwegs viele an Krankheit und Hunger gestorben.
Steppe und wilde Tiere
Während die aus Süddeutschland eingewanderten in ihrer Mehrheit Schwaben waren, brachten viele der aus Polen Eingewanderten ihr Plattdeutsch mit. Doch welch ein Anblick bot sich den Eingewanderten! Eine wüste Steppe mit wilden Tieren und so hohem Steppengras, dass ein Reiter auf dem Ross darin verschwand.
Das war Bessarabien! Hin und wieder traf man armselige Hütten der türkischen und rumänischen Schafhirten, die ihre Herden in der Steppe weiden ließen und von Ort zu Ort zogen, ansonsten war die weite Ebene menschenleer.
Unter den wenigen Habseligkeiten der deutschen Auswanderer, die sie zum Teil auf Schubkarren ins Land brachten, waren Bibel, Gesangsbuch und Katechismus ihr größter Reichtum. Auf diesem Grund des Glaubens bauten sie sich ihre neue Heimat auf. Eine ungeheure Arbeit, erschwert durch das ungewohnte Klima, durch Heuschrecken und andere Landplagen, auch durch Pest und Cholera, wurde bewältigt. Inmitten aller Mühsal, aller Entbehrungen und Heimsuchungen erwuchs den Menschen die Liebe zur Scholle. Ein Spruch sagt: Die ersten fanden den Tod, die zweiten die Not, erst die dritten das Brot.
Nach wenigen Jahrzehnten - im Laufe von zwei Generationen - war die Steppe bezwungen. Dank des fruchtbaren Bodens, der fetten Schwarzerde, konnten ohne jegliche Düngung großartige Ernten erzielt werden, besonders an Winterweizen.
Wein gedieh prächtig
Bessarabien wurde - wie auch das ganze Schwarzmeergebiet - zu einer Kornkammer des großen Russischen Reiches. Aus den zaghaften Siedlern waren zielbewusste, unternehmungsfreudige Bauern geworden. Angebaut wurde hauptsächlich Weizen, Gerste, weniger Hafer, viel Mais, später auch Ölfrüchte wie Raps, Sonnenblumen, Soja und anderes mehr. Ein Spezialgebiet war der Weinbau; der Wein gedieh prächtig und fand guten Absatz.
Nicht immer gab es gute Ernten. Wiederholt gab es Missernten durch Frost, aber vor allem durch Trockenheit, wenn unter den sengenden Sonnenstrahlen jedes Hälmchen dahinschwand, die Erde wie ausgedörrt war und der fußhohe Staub vom Winde durch die Straße gewirbelt wurde. Menschen und Tiere litten Not, es brachen Seuchen unter dem Vieh aus, die Tuberkulose trat in verstärktem Maße auf, und wo kein Vorrat an Brotgetreide und Futter vorhanden war, meldete sich der Hunger. Schwere Sorgen lasteten auf der Bevölkerung, aber unverzagt nahmen die Menschen im Herbst, wenn es endlich geregnet hatte, ihr Arbeitsgerät wieder zur Hand, um die Wintersaaten zu bestellen.
Alle diese Widerstände in der Landwirtschaft und die Schwierigkeiten, als deutsche Minderheit in einem fremden Staat zu leben, ließen die Bessarabiendeutschen nicht zur Ruhe kommen. Längst waren die günstigen Bedingungen der Ansiedlungszeit aufgehoben und es musste ein fortgesetzter Kampf um die Existenz, um Kirche und Schule, geführt werden. Dieses ständige Sich-wehren und Sich-durchsetzen müssen, prägte den Menschenschlag.
25 Mutterkolonien
Der bessarabiendeutsche Bauer war von langsamer und bedächtiger Art. An allem Althergebrachten hielt er eisern fest, und jeder Neuerung gegenüber verhielt er sich sehr kritisch, ja oft entschieden ablehnend. An Gemütstiefe und Humor fehlte es ihm nicht, seine Lebensweise war praktisch und einfach. Ein zäher Lebenswille, verbunden mit Schaffensdrang und Tüchtigkeit, und vor allem der Glaube, waren die Quellen der Kraft für die bessarabiendeutschen Bauern.
Auf einem geschlossenen Landstück von etwa 150 000 Hektar wurden 125 Mutterkolonien gegründet. Der Kinderreichtum der Siedler war enorm und zwang diese zur Gründung neuer Gemeinden - den Tochterkolonien. So entstanden nach und nach 150 deutsche Gemeinden, deren Landbesitz 1940 über 300000 Hektar betrug. Die Zahl der deutschen Kolonisten hatte sich auf etwa 93500 erhöht.
Neben Bauern kamen viele Handwerker als Ansiedler nach Bessarabien, war doch der Aufbau ohne Handwerker nicht denkbar. So mancher Handwerkszweig wurde über die Grenzen Bessarabien hinaus bekannt, zum Beispiel Sattler, die Wagenbauer und andere.
Aus manchen Handwerksbetrieben gingen später kleine Industriebetriebe hervor, so dass fast alle landwirtschaftlichen Geräte im Lande hergestellt wurden. Der Mühlenbesitz im Süden Bessarabiens, ob nun Getreide- oder Ölmühlen, war zumeist in deutscher Hand, während Handel und Banken oft in jüdischem Besitz waren.
Unselige Entwicklung
Schmucke deutsche Siedlungen mit schnurgeraden Straßen, umsäumt von Akazienbäumen, denen in der Blütezeit ein herrlicher Duft entströmte, schöne Kirchen, weißgetüncht, mit einem lichten, großen Kirchenraum, sorgfältig bearbeitete Felder und Weingärten, Schulen, Krankenhäuser, Kulturstätten allerorts, zeugten von einer rastlosen Tätigkeit und wachsendem Wohlstand der Kolonisten.
Doch jäh wurde die Aufwärtsentwicklung durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Die Regierung unter Zar Nikolaus II. beschloss Gesetze, wonach alle Deutschen in Bessarabien enteignet und im Jahr 1917 nach Sibirien transportiert werden sollten. Der Ausbruch der russischen Revolution verhinderte eine Deportation der Deutschen.
Im Zuge der Einquartierungen und Durchmärsche verschiedener Truppen kamen 1917 und 1918 auch reichsdeutsche Soldaten nach Bessarabien. Welch ein Erstaunen, als diese deutsche Menschen mit einer rein schwäbischen Mundart vorfanden. Seit der Auswanderung vor hundert Jahren bestand keine Verbindung mehr mit der alten Heimat. Kaum jemand in Deutschland wusste etwas von der Existenz einer bessarabischen Volksgruppe. Nun aber wurde ein Band geknüpft zwischen dem deutschen Mutterland und den Auslandsdeutschen, das immer fester wurde und nie wieder gerissen ist.
Kirche und Schule
Zum Beispiel erhielt im Jahre 1926 die Kirchengemeinde Arzis (Bessarabien) eine Zuschrift von der evangelischen Kirchengemeinde Kirchheim unter Teck mit der Bitte um Auskunft über auslandsdeutsche kirchliche Frauenarbeit. Dieser Bitte ist die damalige Pastorenfrau Ilse Meyer gerne nachgekommen und hat von der Arbeit des Arziser Frauenvereins nach Kirchheim berichtet.
Bessarabien wurde 1918 an das Königreich Rumänien angegliedert, und so blieben wir vom Schicksal der anderen Russlanddeutschen gnädig verschont. Wir fingen an, uns im neuen Staate Rumänien einzuleben und wohlzufühlen. Auch hier galt es, den Kampf aufzunehmen und Widerstand zu leisten, um das Vätererbe deutsch zu erhalten.
Der Kampf um die „Deutsche Schule“ musste verstärkt aufgenommen werden, denn es war den Verantwortlichen klar - mit der „Deutschen Schule“ steht und fällt das Deutschtum in Bessarabien. Neben Volksschulen haben sich die Kolonisten drei höhere Lehranstalten geschaffen: Die weit über die Grenzen Bessarabiens hinaus bekannte Lehrerbildungsanstalt, die älteste dieser Art in ganz Südrussland, die „Wernerschule“ in Sarata und zwei höhere Schulen in Tarutino, ein Knaben- und ein Mädchengymnasium. Auch nach Angliederung Bessarabiens an Rumänien blieb die „Wernerschule“ die einzige ihrer Art weit und breit.
Unsere Vorfahren wussten genau, dass ein geordnetes Schulwesen und eine aktive Kirche die tragenden Grundlagen für ein sittlich-geistiges Niveau einer Lebens- und Schicksalsgemeinschaft sind. Einen sehr hohen Stellenwert in unserer bessarabischen Lebensgemeinschaft hatte die Kirche. Sie wirkte bis in die Privatsphäre hinein. Die Bessarabiendeutschen waren etwa zu zwei Dritteln Schwaben und von den 93000 Menschen, die 1940 umgesiedelt wurden, waren über 90 Prozent evangelisch.
Trotz aller Einmischungen und allem Druck von Seiten des rumänischen Staates auf unser völkisches Leben, haben sich die Bessarabiendeutschen rein deutsch erhalten. Sie hingen an den Sitten und Gebräuchen, die sie aus der Urheimat mitgebracht hatten und folgten mit kindlichem Gottvertrauen und einem nicht zu erschütterndem Volkstumsbewusstsein in der fremden Steppe selbst geschaffenen Gesetzen. Ihr Fleiß, ihre Ausdauer und Sparsamkeit bewirkten, dass es in wirtschaftlicher Hinsicht von Jahr zu Jahr aufwärts ging.
1940 kam das Ende
Da stellte am 26. Juni 1940 Sowjetrussland an Rumänien ein Ultimatum. Binnen vier Tagen musste Bessarabien von den Rumänen geräumt werden und kam unter sowjetrussische Herrschaft. Kurz darauf erfolgte zwischen Deutschland und der Sowjetunion ein zwischenstaatliches Abkommen, wonach alle Deutschen nach Deutschland umsiedeln konnten.
Als Pioniere standen die Bessarabiendeutschen 126 Jahre lang weit draußen im Osten, im Grenzland zwischen Russland und Rumänien, bis sie durch die Aktion „Heim ins Reich“ im Herbst 1940 nach Deutschland umgesiedelt wurden. Und damit endete ein Kapitel deutscher Geschichte im Osten.
Von vielen Besuchsreisen, die inzwischen in dieses Gebiet gemacht wurden, wissen wir, dass heute in Südbessarabien vieles ganz anders ist. Selbst das Klima hat sich geändert, da man dort inzwischen Wälder angepflanzt und große Seen angelegt hat. Viele Dörfer erinnern in ihrer Anlage heute noch daran, dass dort einst fleißige deutsche Bauern gewirkt haben.
Doch das, was uns Heimat bedeutet, können wir dort nicht mehr finden, weil Heimat eben mehr ist als das Land, in dem man geboren wurde. Wir alle haben längst hier unsere Heimat gefunden, was uns nicht darin hindert, unserer einstigen Heimat zu gedenken, auch noch fünfzig Jahre nach der Umsiedlung.
Die bessarabiendeutsche Volksgruppe hat eine eigenständige Geschichte, die wir - in die der Schwarzmeerdeutschen eingebettet - zum Teil wieder finden. Der heutige Tag der Heimat gibt Anlass zur Rückblende. Im Osten Europas, wo das Bild der schönen Landschaft entlang der Donau in eine weite Ebene übergeht, liegt Bessarabien. Soweit das Auge reicht war nur Himmel und Erde zu sehen, die sich fern am Horizont zu berühren schienen. Es gab keine Wälder und keine Berge. Nur eine sanfte, wellenförmige Hügelkette als letzter Ausläufer der Karpaten durchzog das Land und verlor sich in der weiten Ebene bis an das Schwarze Meer. Das Klima war trotz der Nähe des Meeres ein rein kontinentales. Im Winter herrschte eine eisige Kälte, die Stürme heulten über das flache Land, im Sommer eine glühende Hitze. Besonders schwer war in den langen Sommermonaten die infolge der Regenlosigkeit häufig auftretende Dürre zu ertragen, wenn die Sonne unbarmherzig brannte und der heiße Wind die Staubwolken trieb. Die wenigen kleinen Flüsse und Bäche trockneten fast ganz aus; alles, was da lebte, lechzte nach Regen.
Der Name des Fürsten
Bessarabien hat eine wechselvolle Geschichte erlebt. In grauer Vorzeit haben Nomadenvölker in der Steppe gehaust, vorübergehend bauten die Goten hier ein Reich auf, das aber dem Ansturm der Völkerwanderung im Jahre 375 erlag und von den Hunnen gänzlich zerstört wurde. Dann blieb das Steppenland jahrhundertelang sich selbst überlassen und sah viele fremde Stämme kommen und gehen auf ihrem großen Zug von Asien nach Europa. Zuletzt waren es die Türken und Rumänen, die sich um den Besitz des Landes stritten, bis auch die Russen ihren Anspruch darauf erhoben. Jahrzehnte dauerten die Kämpfe zwischen den Türken und den Russen um das Land, bis endlich der Kampf zugunsten Russlands entschieden wurde und Bessarabien, das seinen Namen einem Fürsten Bassarab verdankt, im Frieden von Bukarest im Jahre 1812 an Russland kam.
Die Geschichte der Deutschen aus Bessarabien beginnt mit der Auswanderung unserer Vorfahren aus Deutschland. Der russische Zar Alexander I. (Regierungszeit 1801-1825) wollte nach der Eingliederung Bessarabiens in das Zarenreich 1812 den von den Türken zwischen unterem Dnjestr, dem Schwarzen Meer und dem Pruth verlassenen Landstrich neu besiedeln und die großen, brachliegenden Ländereien landwirtschaftlich erschließen.
Kriegslasten drückten
Kaum war Napoleon besiegt, ging Zar Alexander I. an die Kolonisierung Bessarabiens. Neben Bulgaren schienen dem Zaren die Deutschen am geeignetsten für eine Besiedlung zu sein. Sie sollten, durch ihren Fleiß bekannt, für alle Völker in diesem Raum ein Vorbild sein. Er erließ 1813 einen Aufruf an die Deutschen im Herzogtum Warschau zu einer freiwilligen Auswanderung nach Russland. In einem Manifest räumte der Zar den Einwanderern verschiedene Privilegien ein. Die Deutschen, die schon seit der ersten Teilung Polens dort siedelten, trieb die Willkürherrschaft der polnischen Gutsherren wieder fort, ebenso die Katholisierungsbestrebungen der polnischen katholischen Kirche.
Und wie sah es damals in den deutschen Landen aus? Die Städte hatten unter der Besatzung und Plünderung von Napoleons Truppen viel zu leiden, die Bauern mussten Fronarbeiten verrichten, dazu drückten die hohen Kriegslasten. In dieser Notzeit, die durch die Zerrissenheit des deutschen Volkes in einzelne kleine Staaten noch verschärft wurde, gab es in manchen Teilen des Landes erweckte Christen. Sie glaubten an den Zeichen der Zeit das Nahen des Endes der Welt zu erkennen und suchten nach einem Bergungsort, wo sie das Kommen des Herrn erwarten wollten. Ihre religiöse pietistische Einstellung trug ihnen manchen Druck von der damals stark rationalistischen Kirche ein, und darum wurde der Drang in die Ferne und das Verlangen nach einem Leben in Glaubensfreiheit immer größer.
„Stern des Ostens“
In dieser schweren Zeit erreichte der Ruf Zar Alexanders I. auch die Bevölkerung Süddeutschlands. Es wurden günstige Bedingungen angeboten: Materielle Unterstützung, 60 Desjatinen = 65,5 Hektar Land je Familie, Steuerfreiheit auf zehn Jahre, Befreiung vom Militärdienst, Religionsfreiheit und Selbstverwaltung. Das klang sehr verlockend in die trostlose Lage der Deutschen hinein. Besonders die um ihres Glaubens willen Bedrängten entschlossen sich gleich, den russischen Werbern in das Reich des Zaren zu folgen, den sie durch sein Versprechen der Glaubensfreiheit den „Stern des Ostens“ nannten. In einzelnen Auswanderergruppen zogen in den Jahren 1817 bis 1842 etwa neuntausend deutsche Bauern aus der Pfalz, aus Bayern, aus der Schweiz und vor allem aus Württemberg nach Bessarabien. Die Württemberger schlossen sich zu so genannten Auswanderer-Harmonien zusammen.
Vom Oberamt Kirchheim stellten sich als Führer einer Harmonie zwei Ötlinger Bürger - Johann Georg Bidlingmaier und Jakob Lutz - zur Verfügung. Sie schlossen sich der Schar der Auswanderungswilligen an und fuhren auf kleinen Schiffen von Ulm donauabwärts. Es war eine traurige Fahrt. Bei schlechter Verpflegung wurden in den „Ulmer Schachteln“ viele krank und schon unterwegs vom Fieber hinweggerafft. Elend kamen sie in Ismail, der ersten russischen Stadt an, wo sie in Quarantäne kamen. Hier verlor der Ötlinger Bidlingmaier zwei seiner Kinder. Einen Monat später folgte auch er ihnen im Tod nach. Andere Gruppen gelangten nach einer unsäglich beschwerlichen, oft monatelangen Reise auf dem Landweg über Polen an ihren Bestimmungsort. Auch bei diesen Gruppen waren unterwegs viele an Krankheit und Hunger gestorben.
Steppe und wilde Tiere
Während die aus Süddeutschland eingewanderten in ihrer Mehrheit Schwaben waren, brachten viele der aus Polen Eingewanderten ihr Plattdeutsch mit. Doch welch ein Anblick bot sich den Eingewanderten! Eine wüste Steppe mit wilden Tieren und so hohem Steppengras, dass ein Reiter auf dem Ross darin verschwand.
Das war Bessarabien! Hin und wieder traf man armselige Hütten der türkischen und rumänischen Schafhirten, die ihre Herden in der Steppe weiden ließen und von Ort zu Ort zogen, ansonsten war die weite Ebene menschenleer.
Unter den wenigen Habseligkeiten der deutschen Auswanderer, die sie zum Teil auf Schubkarren ins Land brachten, waren Bibel, Gesangsbuch und Katechismus ihr größter Reichtum. Auf diesem Grund des Glaubens bauten sie sich ihre neue Heimat auf. Eine ungeheure Arbeit, erschwert durch das ungewohnte Klima, durch Heuschrecken und andere Landplagen, auch durch Pest und Cholera, wurde bewältigt. Inmitten aller Mühsal, aller Entbehrungen und Heimsuchungen erwuchs den Menschen die Liebe zur Scholle. Ein Spruch sagt: Die ersten fanden den Tod, die zweiten die Not, erst die dritten das Brot.
Nach wenigen Jahrzehnten - im Laufe von zwei Generationen - war die Steppe bezwungen. Dank des fruchtbaren Bodens, der fetten Schwarzerde, konnten ohne jegliche Düngung großartige Ernten erzielt werden, besonders an Winterweizen.
Wein gedieh prächtig
Bessarabien wurde - wie auch das ganze Schwarzmeergebiet - zu einer Kornkammer des großen Russischen Reiches. Aus den zaghaften Siedlern waren zielbewusste, unternehmungsfreudige Bauern geworden. Angebaut wurde hauptsächlich Weizen, Gerste, weniger Hafer, viel Mais, später auch Ölfrüchte wie Raps, Sonnenblumen, Soja und anderes mehr. Ein Spezialgebiet war der Weinbau; der Wein gedieh prächtig und fand guten Absatz.
Nicht immer gab es gute Ernten. Wiederholt gab es Missernten durch Frost, aber vor allem durch Trockenheit, wenn unter den sengenden Sonnenstrahlen jedes Hälmchen dahinschwand, die Erde wie ausgedörrt war und der fußhohe Staub vom Winde durch die Straße gewirbelt wurde. Menschen und Tiere litten Not, es brachen Seuchen unter dem Vieh aus, die Tuberkulose trat in verstärktem Maße auf, und wo kein Vorrat an Brotgetreide und Futter vorhanden war, meldete sich der Hunger. Schwere Sorgen lasteten auf der Bevölkerung, aber unverzagt nahmen die Menschen im Herbst, wenn es endlich geregnet hatte, ihr Arbeitsgerät wieder zur Hand, um die Wintersaaten zu bestellen.
Alle diese Widerstände in der Landwirtschaft und die Schwierigkeiten, als deutsche Minderheit in einem fremden Staat zu leben, ließen die Bessarabiendeutschen nicht zur Ruhe kommen. Längst waren die günstigen Bedingungen der Ansiedlungszeit aufgehoben und es musste ein fortgesetzter Kampf um die Existenz, um Kirche und Schule, geführt werden. Dieses ständige Sich-wehren und Sich-durchsetzen müssen, prägte den Menschenschlag.
25 Mutterkolonien
Der bessarabiendeutsche Bauer war von langsamer und bedächtiger Art. An allem Althergebrachten hielt er eisern fest, und jeder Neuerung gegenüber verhielt er sich sehr kritisch, ja oft entschieden ablehnend. An Gemütstiefe und Humor fehlte es ihm nicht, seine Lebensweise war praktisch und einfach. Ein zäher Lebenswille, verbunden mit Schaffensdrang und Tüchtigkeit, und vor allem der Glaube, waren die Quellen der Kraft für die bessarabiendeutschen Bauern.
Auf einem geschlossenen Landstück von etwa 150 000 Hektar wurden 125 Mutterkolonien gegründet. Der Kinderreichtum der Siedler war enorm und zwang diese zur Gründung neuer Gemeinden - den Tochterkolonien. So entstanden nach und nach 150 deutsche Gemeinden, deren Landbesitz 1940 über 300000 Hektar betrug. Die Zahl der deutschen Kolonisten hatte sich auf etwa 93500 erhöht.
Neben Bauern kamen viele Handwerker als Ansiedler nach Bessarabien, war doch der Aufbau ohne Handwerker nicht denkbar. So mancher Handwerkszweig wurde über die Grenzen Bessarabien hinaus bekannt, zum Beispiel Sattler, die Wagenbauer und andere.
Aus manchen Handwerksbetrieben gingen später kleine Industriebetriebe hervor, so dass fast alle landwirtschaftlichen Geräte im Lande hergestellt wurden. Der Mühlenbesitz im Süden Bessarabiens, ob nun Getreide- oder Ölmühlen, war zumeist in deutscher Hand, während Handel und Banken oft in jüdischem Besitz waren.
Unselige Entwicklung
Schmucke deutsche Siedlungen mit schnurgeraden Straßen, umsäumt von Akazienbäumen, denen in der Blütezeit ein herrlicher Duft entströmte, schöne Kirchen, weißgetüncht, mit einem lichten, großen Kirchenraum, sorgfältig bearbeitete Felder und Weingärten, Schulen, Krankenhäuser, Kulturstätten allerorts, zeugten von einer rastlosen Tätigkeit und wachsendem Wohlstand der Kolonisten.
Doch jäh wurde die Aufwärtsentwicklung durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Die Regierung unter Zar Nikolaus II. beschloss Gesetze, wonach alle Deutschen in Bessarabien enteignet und im Jahr 1917 nach Sibirien transportiert werden sollten. Der Ausbruch der russischen Revolution verhinderte eine Deportation der Deutschen.
Im Zuge der Einquartierungen und Durchmärsche verschiedener Truppen kamen 1917 und 1918 auch reichsdeutsche Soldaten nach Bessarabien. Welch ein Erstaunen, als diese deutsche Menschen mit einer rein schwäbischen Mundart vorfanden. Seit der Auswanderung vor hundert Jahren bestand keine Verbindung mehr mit der alten Heimat. Kaum jemand in Deutschland wusste etwas von der Existenz einer bessarabischen Volksgruppe. Nun aber wurde ein Band geknüpft zwischen dem deutschen Mutterland und den Auslandsdeutschen, das immer fester wurde und nie wieder gerissen ist.
Kirche und Schule
Zum Beispiel erhielt im Jahre 1926 die Kirchengemeinde Arzis (Bessarabien) eine Zuschrift von der evangelischen Kirchengemeinde Kirchheim unter Teck mit der Bitte um Auskunft über auslandsdeutsche kirchliche Frauenarbeit. Dieser Bitte ist die damalige Pastorenfrau Ilse Meyer gerne nachgekommen und hat von der Arbeit des Arziser Frauenvereins nach Kirchheim berichtet.
Bessarabien wurde 1918 an das Königreich Rumänien angegliedert, und so blieben wir vom Schicksal der anderen Russlanddeutschen gnädig verschont. Wir fingen an, uns im neuen Staate Rumänien einzuleben und wohlzufühlen. Auch hier galt es, den Kampf aufzunehmen und Widerstand zu leisten, um das Vätererbe deutsch zu erhalten.
Der Kampf um die „Deutsche Schule“ musste verstärkt aufgenommen werden, denn es war den Verantwortlichen klar - mit der „Deutschen Schule“ steht und fällt das Deutschtum in Bessarabien. Neben Volksschulen haben sich die Kolonisten drei höhere Lehranstalten geschaffen: Die weit über die Grenzen Bessarabiens hinaus bekannte Lehrerbildungsanstalt, die älteste dieser Art in ganz Südrussland, die „Wernerschule“ in Sarata und zwei höhere Schulen in Tarutino, ein Knaben- und ein Mädchengymnasium. Auch nach Angliederung Bessarabiens an Rumänien blieb die „Wernerschule“ die einzige ihrer Art weit und breit.
Unsere Vorfahren wussten genau, dass ein geordnetes Schulwesen und eine aktive Kirche die tragenden Grundlagen für ein sittlich-geistiges Niveau einer Lebens- und Schicksalsgemeinschaft sind. Einen sehr hohen Stellenwert in unserer bessarabischen Lebensgemeinschaft hatte die Kirche. Sie wirkte bis in die Privatsphäre hinein. Die Bessarabiendeutschen waren etwa zu zwei Dritteln Schwaben und von den 93000 Menschen, die 1940 umgesiedelt wurden, waren über 90 Prozent evangelisch.
Trotz aller Einmischungen und allem Druck von Seiten des rumänischen Staates auf unser völkisches Leben, haben sich die Bessarabiendeutschen rein deutsch erhalten. Sie hingen an den Sitten und Gebräuchen, die sie aus der Urheimat mitgebracht hatten und folgten mit kindlichem Gottvertrauen und einem nicht zu erschütterndem Volkstumsbewusstsein in der fremden Steppe selbst geschaffenen Gesetzen. Ihr Fleiß, ihre Ausdauer und Sparsamkeit bewirkten, dass es in wirtschaftlicher Hinsicht von Jahr zu Jahr aufwärts ging.
1940 kam das Ende
Da stellte am 26. Juni 1940 Sowjetrussland an Rumänien ein Ultimatum. Binnen vier Tagen musste Bessarabien von den Rumänen geräumt werden und kam unter sowjetrussische Herrschaft. Kurz darauf erfolgte zwischen Deutschland und der Sowjetunion ein zwischenstaatliches Abkommen, wonach alle Deutschen nach Deutschland umsiedeln konnten.
Als Pioniere standen die Bessarabiendeutschen 126 Jahre lang weit draußen im Osten, im Grenzland zwischen Russland und Rumänien, bis sie durch die Aktion „Heim ins Reich“ im Herbst 1940 nach Deutschland umgesiedelt wurden. Und damit endete ein Kapitel deutscher Geschichte im Osten.
Von vielen Besuchsreisen, die inzwischen in dieses Gebiet gemacht wurden, wissen wir, dass heute in Südbessarabien vieles ganz anders ist. Selbst das Klima hat sich geändert, da man dort inzwischen Wälder angepflanzt und große Seen angelegt hat. Viele Dörfer erinnern in ihrer Anlage heute noch daran, dass dort einst fleißige deutsche Bauern gewirkt haben.
Doch das, was uns Heimat bedeutet, können wir dort nicht mehr finden, weil Heimat eben mehr ist als das Land, in dem man geboren wurde. Wir alle haben längst hier unsere Heimat gefunden, was uns nicht darin hindert, unserer einstigen Heimat zu gedenken, auch noch fünfzig Jahre nach der Umsiedlung.
Die Auswanderung der Bessarabiendeutschen im 19. Jahrhundert
Die Umsiedlung der Bessarabiendeutschen 1940